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Zollrecht – Befugnisse der Europäischen Staatsanwaltschaft

By 03/03/2023Mai 27th, 2024Aktuelles

Die Europäische Staatsanwaltschaft ist eine relativ neu eingerichtete Strafverfolgungsbehörde die die finanziellen Interessen der Union vor Straftaten schützen soll und diese Straftaten untersucht und strafrechtlich verfolgt. Als eine solche Strafverfolgungsbehörde ist die Europäische Staatsanwaltschaft auch zuständig, Zolldelikte europaweit aufzuklären.

Der Schutz der finanziellen Interessen der Union ist eine unglaublich wichtige Aufgabe. Im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Tätigkeiten dieser Behörde, ihr Agieren in unterschiedlichen Sprachen und Rechtsordnungen ist es aber unglaublich wichtig, dass gerade bei ihr auf die Einhaltung der Grundrechte betroffener Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besonders geachtet wird.

Ende letzten Jahres habe ich einige Beschwerden gegen Hausdurchsuchungen eingebracht, die von der Europäischen Staatsanwaltschaft angeordnet wurden. Dieses Strafverfahren führt der Delegierte Europäische Staatsanwalt in Deutschland, er ist mit dem Verfahren betraut. Der Delegierte Europäische Staatsanwalt in Österreich ist nur „unterstützend“ tätig, weil eben die Hausdurchsuchungen in Österreich erfolgten. Es stellt sich nun die Frage, in welchem Umfang österreichische Gerichte eine solche Anordnung einer Europäischen Staatsanwältin oder eines Europäischen Staatsanwalts zu prüfen haben. Zu beurteilen ist diese Frage nach der Verordnung des Rates vom 12.10.2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft.

In Art. 31 dieser Verordnung heißt es dazu, dass die Begründung und Anordnung einer Ermittlungsmaßnahme – wie eben eine Hausdurchsuchung – nach dem Recht des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts zu erfolgen hat. Das ist in unserem Fall Deutschland. Der Artikel regelt aber weiter, dass eine für die Hausdurchsuchung erforderliche richterliche Genehmigung nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts einzuholen ist. Das ist in unserem Fall Österreich. Aus dieser Formulierung ergibt sich meines Erachtens eindeutig, dass die österreichische Richterin oder der österreichische Richter vollumfänglich prüfen muss, ob die Hausdurchsuchung in Österreich durchgeführt werden darf.

Das Oberlandesgericht Wien hat daran Zweifel. Es hat nun dem Europäischen Gerichtshof Fragen gestellt, die darauf abstellen, wie Art. 31 der Verordnung zu verstehen ist und ob die Prüfung vor österreichischen Gerichten umfassend zu erfolgen hat. Am 27.02.2023 fand vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg die mündliche Verhandlung statt. Nachstehend ist der Wortlaut meines für die mündliche Verhandlung vorbereiteten Plädoyers. Die Verhandlung wurde vertagt; es bleibt daher spannend!

Hohes Gericht,
sehr geehrte Damen und Herren,

der Gerichtshof der Europäischen Union hat uns aufgefordert, zwei Fragen in der heutigen mündlichen Verhandlung zu beantworten.

Zum einen sollen wir darauf eingehen, wie sich das Ziel einer wirksamen Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union mit dem Grundsatz einer einzigen richterlichen Genehmigung in Einklang bringen lässt.

Zum anderen haben wir Stellung dazu zu beziehen, ob nicht die umfassende und vollinhaltliche gerichtliche Prüfung im Mitgliedsstaat des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts dazu führen könnte, dass die Durchführung grenzüberschreitender Ermittlungen im Rahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft komplizierter, schwerfälliger und zeitraubender ausgestaltet ist, als eine Zusammenarbeit auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung.

Man könnte auf die erste dieser Fragen recht einfach folgende Antwort erwidern: „Weil all das so und nicht anders im Normtext vorgesehen und manifestiert ist!“ Immerhin statuiert Art. 31 Abs 3 EUStA-VO unzweifelhaft, dass eine richterliche Genehmigung für eine Maßnahme nach dem Recht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts einzuholen ist, wenn eine richterliche Genehmigung für diese Maßnahme dort erforderlich ist.

Die anzuwendenden Bestimmungen verweisen hinsichtlich des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes nicht auf Art. 31 Abs 5 der Verordnung oder auf irgendwelche einschränkenden Regelungen, wie wir sie im Zusammenhang mit Europäischen Ermittlungsanordnungen kennen. Die Bestimmung verweist unzweifelhaft auf das Recht des Mitgliedsstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts. Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Sachverhalt meines Erachtens völlig klar, dass eine vollinhaltliche Prüfung durch ein österreichisches Gericht zu erfolgen hat, in deren Rahmen Tatverdacht, Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit genauso wie alle anderen Voraussetzungen für die Genehmigung zu prüfen sind.

Freilich kann ich hier aber nicht nur auf den Wortlaut der Bestimmung abstellen. Das wäre zu wenig. Auch der Zweck der Bestimmung ist bei deren Auslegung immer mitzubeachten. Das wichtige Ziel einer wirksamen Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union wird durch die hier vertretene Rechtsansicht aber keineswegs untergraben.

Die Europäische Staatsanwaltschaft ist eine spezialisierte Strafverfolgungsbehörde, die die Tatbestände zum Schutz der finanziellen Interessen der Union kennt und anwenden kann. Die Europäische Staatsanwaltschaft ist eine einheitliche Behörde, die mit ihren unterstützenden Ansprechpartnern in Mitgliedsstaaten einfacher und effizienter grenzüberschreitend tätig sein kann. Die Europäische Staatsanwaltschaft ist auch keinen Weisungen aus den Mitgliedsstaaten unterworfen. All das sind Aspekte, die einer wirksamen Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union selbstverständlich zugutekommen.

Zur zweiten Frage, ob die Durchführung grenzüberschreitender Ermittlungen im Rahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft nicht komplizierter, schwerfälliger und zeitraubender ausgestaltet wäre, als eine Zusammenarbeit auf der Grundlage von Instrumenten über gegenseitige Anerkennung, möchte ich wie folgt hervorheben:

Zum einen verweise ich hier eingangs auf die Entstehungsgeschichte der anzuwendenden Verordnung, wonach die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Ansicht waren, dass die Anwendung des Systems der gegenseitigen Anerkennung im Widerspruch zur Natur der Europäischen Staatsanwaltschaft als einheitliche Behörde steht. Es sollte hier eben gerade nicht so sein, dass die Vertreter der betrauten Europäischen Staatsanwaltschaft eine Bewilligung einholen, um diese dann im Mitgliedsstaat der unterstützenden Vertreter der Europäischen Staatsanwaltschaft zu vollziehen.

Entgegen der Befürchtung des Oberlandesgerichts Wien führt all dies keinesfalls zu einem massiven Rückschritt. Vielmehr kam es durch die Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft schlicht zu einer Änderung des anzuwendenden Konzepts! Wie ich bereits schriftlich ausgeführt habe, kommt auch der österreichische Gesetzgeber zum Schluss, dass die in Art. 31 der hier anzuwendenden Verordnung betreffend die grenzüberschreitenden Ermittlungen getroffenen Regelungen dem Grundgedanken folgen, dass die Europäische Staatsanwaltschaft innerhalb ihres territorialen Wirkungsbereichs nicht auf die Maßnahmen der gegenseitigen Anerkennung zurückgreifen soll, die sonst die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten beherrscht. Auch der deutsche Gesetzgeber stellt klar, dass diese Verordnung besondere, von den Prinzipien der Richtlinie über Europäische Ermittlungsanordnungen abweichende Regelungen vorsieht.

Sowohl in Stellungnahmen und auch in der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Aspekt liest man immer wieder von praktischen Problemen dahingehend, dass das Gericht des Mitgliedstaats des unterstützenden Delegierten Europäischen Staatsanwalts eine Entscheidung auf Basis von nach fremdem Recht geführten Verfahrensakten der Europäischen Staatsanwaltschaft treffen müsse und insofern große Aktenteile unter Umständen zu übersetzen seien und dies kaum leistbar und personaltechnisch aufwendig sei.

Bitte erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang den Verweis auf den ersten Erwägungsgrund der hier in Rede stehenden Verordnung. Dieser Erwägungsgrund fasst in beeindruckender Kürze das zusammen, weshalb ich persönlich glühender Verfechter der europäischen Idee und überzeugter Bürger der Europäischen Union bin. Er lautet:

„Die Union hat sich die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt.“

Wir sprechen heute über die Auslegung von Bestimmungen, die nach dem Wortlaut recht einfach auszulegen sind. Wenn wir nach dem Zweck der Bestimmungen fragen, sollten wir nicht nur die Frage der Effizienz der Durchführung grenzüberschreitender Ermittlungen vor Augen haben, sondern auch grundrechtliche Aspekte in Erwägung ziehen. Nicht umsonst erinnert uns der erste Erwägungsgrund der Verordnung auf den „Raum der Freiheit“, den die Union schaffen soll.

Und wenn wir darüber nachdenken, dass Ermittlungen für Ermittlungsbehörden komplizierter, schwerfälliger und zeitraubender werden könnten, dann verlieren wir bitte nicht aus den Augen, dass es in der Natur der Sache liegt, dass akkurat jene Delikte, mit denen sich die Europäische Staatsanwaltschaft herumzuschlagen hat, komplex und kompliziert sind.

Vergessen wir aber bitte auch nicht, dass mit genau diesen Problemen auch betroffene Normunterworfene konfrontiert sind: Sie müssen sich als Unionsbürgerinnen und -bürger in einem fremden Mitgliedsstaat strafrechtlich verantworten, sind womöglich mit Sprachbarrieren konfrontiert, haben lange Anfahrtswege auf sich nehmen und sind mit den Inhalten der Rechtsordnung dieses Mitgliedsstaates nicht vertraut.

Auch ausgehend von den Zwecken der gegenständlich anzuwendenden Verordnung, nämlich der verstärkten Zusammenarbeit zum Schutz der finanziellen Interessen der Union vor Straftaten einerseits und der Schaffung eines „Raums der Freiheit“ andererseits, kommt man zu keinem anderen Ergebnis.

Im Hinblick darauf muss gegenständlich das Gericht in Österreich zuständig sein, um im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes neutral gegenüber allen Beteiligten am Strafverfahren einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen, die sich aus den Erfordernissen der Ermittlung im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung ergeben, und den Grundrechten auf Achtung des Privatlebens sowie den Schutz der Interessen meiner Klientin und meinen Klienten, zu finden.

Ich beantrage daher für meine Klienten, die Fragen des Oberlandesgerichts Wien dahingehend zu beantworten, dass gegenständlich eine vollinhaltliche und umfassende Prüfung durch die österreichischen Gerichte zu erfolgen hatte und dabei nicht zu berücksichtigen ist, ob es in Deutschland bereits eine (gegenständlich ohnehin nicht existierende) gerichtliche Bewilligung gibt.

Diesen Anträgen schließe ich die Bitte an, das Ziel der Union zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bei der Entscheidung über die gegenständliche Angelegenheit zu würdigen. Auch gegenständlich soll der Grundsatz der Verfahrensautonomie zur Anwendung gelangen, wonach sich die jeweiligen Verfahrensmodalitäten nach dem innerstaatlichen Recht richtet, wenn – wie gegenständlich – keine einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften existieren. Dies einerseits, um eine Binnenfriktion zu verhindern und andererseits, damit im Strafrecht auf die demokratisch legitimierte Rechtsordnung des Staates vertraut werden kann.

Vielen Dank!

 

Weitere Informationen:

Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof

Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA)

Europäische Staatsanwaltschaft

Offener Brief der European Criminal Bar Association

Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, LL.M.

Rechtsanwalt Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, LL.M. hat nach seiner Reife- und Diplomprüfung an der HBLA Ursprung in Elixhausen das Studium der Rechtswissenschaften absolviert. Er ist glücklich verheirateteter Vater zweier Töchter. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist Wolfgang Gappmayer Lektor an der Fachhochschule des BFI Wien und Vorstandsmitglied des Weissen Rings (des Vereins „Weisser Ring“, gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und Verhütung von Straftaten).

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