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Opferrechte – Erheblichkeitsschwelle bei einstweiligen Verfügungen

By 01/12/2023Mai 27th, 2024Aktuelles

Gerade in Zeiten, in denen häusliche Gewalt zunimmt, verwundert es gelegentlich, wie zögerlich einstweilige Verfügungen erlassen werden. Erst unlängst ließ der Oberste Gerichtshof einen Revisionsrekurs zu und brachte in beeindruckender Klarheit zum Ausdruck, dass das Andeuten von Schlägen keinesfalls bloßes „Foppen“ ist und bereits ein einziger physischer Angriff oder die Drohung damit für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung ausreicht.

Eine Frau lebte mit einem Mann über 20 Jahre in einer Lebensgemeinschaft, der gemeinsame minderjährige Kinder entstammen.

Der Mann ist seit längerer Zeit nur sporadisch bzw. monatsweise beschäftigt, ansonsten arbeits- und beschäftigungslos. Immer wieder trinkt er Alkohol. Wenn er das tut, verhält er sich unleidlich und aggressiv. In den Abendstunden hat er oft schon so viel Alkohol konsumiert, dass er auf der Couch einschläft und dort bis in den nächsten Tag weiterschläft.

Die häusliche Situation verschlechterte sich sukzessive und spitzte sich zu. Der Mann verhielt sich im gemeinsamen Haushalt regelmäßig aggressiv und beschimpfte die Frau (vor den Kindern) mit Ausdrücken wie „Du bist dumm wie Brot“ oder „Du bist selten blöd“ oder „Du blöde Fotze“.

Im März dieses Jahres kam es zu einem Vorfall, bei dem der Mann richtiggehend in Rage geriet, sein Gesicht bedrohlich nahe an die Frau heranschob, die Hand erhob und sodann mehrmals drohte „Ich schlag dich, ich sags dir, ich schlag dich!“, woraufhin es zu einem kleineren Gerangel kam. An diesem Tag kam es auch zu einer verbalen Auseinandersetzung, weil die minderjährige Tochter abends ein Konzert in der Musikschule hatte. Der Mann weigerte sich, das Konzert zu besuchen, was er bereits beim Mittagessen lautstark verkündete („Das interessiert mich nicht!“). Er zog auch und über die Geigenlehrerin her („Die spinnt ja!“). Die Minderjährige war wegen der Aussagen ihres Vaters verletzt, weinte und konnte nicht verstehen. Eine halbe Stunde vor dem Aufbruch zur Musikschule verkündete der Mann den Kindern außerdem die Trennung der Eltern. Das minderjährige Mädchen reagierte verstört und lief weinend aus dem Wohnzimmer.

Der Mann deutete immer wieder Schläge gegen die Frau an und lachte sie im nächsten Moment, nachdem sie zusammengezuckt war, aus. Dabei gebärdete sich der Mann so, dass dies als echte, reale Bedrohung von der Frau empfunden wurde, und zwar nicht, weil sie dünnhäutig oder empfindlich wäre, sondern weil es für sie und für jeden Zuseher als echt bedrohlich eingestuft wurde. Dabei drohte er mit Schlägen, holt mit der rechten Hand, mit einem aggressiven Gesichtsausdruck ruckartig aus und schreit „ich schlag dich, ich schlag dich“. Ebenso gab es mehrere Vorfälle, dass er mit der Faust auf die Frau hinhaut, ganz kurz vor dem Gesicht stoppt und sie dann auslacht. Das versetzte sie in Angst und würde auch jede andere Person in Angst versetzen.

Alles in allem erreichte das aggressive und grenzüberschreitende Verhalten des Mannes ein Ausmaß, das die Frau als sehr belastend empfand. Sie fühlt sich in ihrer psychischen und körperlichen Integrität gefährdet. Deshalb begab sie sich in psychologische Behandlung, wo eine akute Belastungsreaktion diagnostiziert wurde.

Die Frau beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es meinte, dass das Verhalten des Mannes gerade noch nicht als so gravierend anzusehen sei, dass eine einstweilige Verfügung zu erlassen wäre. Das Rechtsmittelgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof hob diese Entscheidungen auf und erließ die einstweilige Verfügung. Dies aus nachstehenden Gründen:

Der Mann hat die Frau mehrmals mit einem körperlichen Angriff bedroht: Er geriet in Rage und sagte zur Frau, er werde sie schlagen, worauf es zu einem kleineren Gerangel kam. Darüber hinaus drohte er der Frau mehrmals mit ausgeholter Hand Schläge an, wobei feststeht, dass er sich so gebärdet, dass dies von ihr als echte, reale Bedrohung empfunden wird. Zusätzlich lacht er die Frau aus, nachdem sie aufgrund seiner Drohungen zusammenzuckt. Dieses bedrohliche und erniedrigende Verhalten des Mannes kann keineswegs verharmlosend als „Foppen“ bezeichnet werden. Hinzu kommt, dass sich der Mann vor dem Auszug der Frau regelmäßig infolge seines starken Alkoholkonsums aggressiv verhielt und sie vor den Kindern mit Ausdrücken wie „Du bist dumm wie Brot“ oder „Du bist selten blöd“ oder „Du blöde Fotze“ beschimpfte. Schließlich hatte sich die häusliche Situation in den letzten Wochen und Monaten sukzessive verschlechtert und zugespitzt. Aufgrund dieser Umstände hat die Frau nicht nur mit den Kindern die Wohnung verlassen, sondern sich auch in psychologische Behandlung begeben, wo eine akute Belastungsreaktion diagnostiziert wurde.

 

All diese Umstände führen nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes sehr überzeugend dazu, dass eine einstweilige Verfügung zu erlassen war. Das Verhalten des Mannes hat jedenfalls eine Schwere erreicht, die die Maßnahme der einstweiligen Verfügung gebietet. Der Oberste Gerichtshof führt in dieser Entscheidung auch zum „Psychoterror“ aus. Er weist eindringlich darauf hin, dass ein solcher nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen ist. Aufgrund dieses „Psychoterrors“ war die einstweilige Verfügung zu erlassen, weil dadurch die psychische Gesundheit der Frau erheblich beeinträchtigt wurde.

 

Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (24.10.2023, 7 Ob 161/23m)

Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, LL.M.

Rechtsanwalt Ing. Dr. Wolfgang Gappmayer, LL.M. hat nach seiner Reife- und Diplomprüfung an der HBLA Ursprung in Elixhausen das Studium der Rechtswissenschaften absolviert. Er ist glücklich verheirateteter Vater zweier Töchter. Neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ist Wolfgang Gappmayer Lektor an der Fachhochschule des BFI Wien und Vorstandsmitglied des Weissen Rings (des Vereins „Weisser Ring“, gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und Verhütung von Straftaten).

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